DER SCHLAFENDE BÄR

 

A. sprach nicht. Er war schon dreieinhalb, aber er sprach nicht. Ich erfuhr, daß er ein ungewolltes Kind war. Die Mutter hatte es gegen den Willen des Vaters bekommen und A. sah aus, als fürchte er sich, vor jedem und allem. Sein zwei Jahre älterer Bruder war stämmig und laut und gedieh prächtig. Ich legte ein Bärchen auf den Tisch und erzählte A., daß Bären den Winter über schlafen. Wir ließen das Bärchen schlafen. Der Winter verging. Da lag es und alles sprang schon herum. Die Maus. Der Fuchs. Der Spatz und die Katze. Alle versuchten, das Bärchen zu wecken. Die Maus piepste, aber das war wohl zu leise. Der Spatz tschilpte und schimpfte und piekste ihn mit dem Schnabel. Die Katze kratzte ihn und der Fuchs zog ihn unsanft am Bein. Der Bär hörte kurz auf mit Schnarchen, drehte sich um und schlief weiter. Das gefiel A. gar nicht. Er schnappte sich den Bären und setzte ihn hin. Aber er fiel gleich wieder um. Er setzte ihn wieder und wieder auf, aber er fiel immer wieder um. Daß der Bär nun den ganzen Sommer über und noch den Winter dazu schlafen sollte, gefiel A. nicht. Und noch weniger, daß er nichts dagegen tun konnte. Wir müssen ihn wecken, sagte ich. Am besten rufen wir ganz laut: Aufstehn! A. hat sich tatsächlich so über den Bären geärgert, daß ihm etwas entfuhr. Aber was er sagte, daran kann ich mich nicht erinnern. Letztlich ließen wir ihn einfach noch ein ganzes Jahr schlafen. Das nächste mal, als A. kam und den Bären auf dem Tisch liegen sah, wurde er ziemlich nervös. Ich fragte ihn, wer denn das letzte mal geholfen hatte, den Bären zu wecken: „Fuchs. .. Maus... Katze... Vogel“ purzelte es langsam aus ihm heraus. Fuchs, Maus, Katze, Vogel – das waren seine erste Worte.

 

 

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